Open Skies

parallel to the opening of Height, Pace, Consistency  Helene Appel, Pauline M´barek and I launched the publication Open Skies. It is the documentation of our seminar collaboration at the HBK Braunschweig that started during the summer semester 2020. Throughout the digital maze of the pandemic we worked on a cross-media, space- & site-specfic exhibition project. As a result in June 2021 the students worked together for 11 days on the area of the H_LLE Braunschweig closing with a public exhibition weekend  on the 26th and 27th of June.

Artists: Alrun Aßmus,  Arthur Detterer, Charlotte Kremberg, Domingos de Barros Octaviano, Emil Wesemann, Erasmus Leinweber, Franziska Peschel, Gerald Meilicke, Hee Seo, Heeae Yang, Jakob Gaumer, Jakob Zimmermann, Jihye Kim, Jiyoung Hong, Jonas Meyburg, Leevi Ervast, Naomi Deibel, Nelly Khabipova, Noemi Pradella-Kleibrink, Nozomi Hasegawa, Pia Bock, Patrick Neugebauer, Qiuning Zhu, Rebekka Stuhlemer, Romina Victoria Herrera, Saskia Siebe, Seonah Chae, Tim Sandmann, Yoo KIM, Younghee Shin.

Konzept, Organisation, Text- und Bildredaktion: Helene Appel, Kerstin Ergenzinger und Pauline M ́barek

Lektorat: Katha Schulte
Gesamtgestaltung: Stahl R

Copyright: Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig, Fotografien: Timo Jaworr Braunschweig, 2022

OPEN SKIES

Von virtuellen Kooperationen, Raumprojektionen und dem Ausstellen auf wucherndem Gelände

Auf der Reise durch die Digitalität der Pandemie, in der es eineinhalb Jahre nahezu unmöglich war, Hochschul- und Ausstellungsräume für unsere Lehre zu nutzen, wurde „Open Skies“ zum Titel des Ausstellungsprojekts, mit dem wir die zweijährige Arbeit mit Studierenden abschlossen, die wir – Helene Appel, Kerstin Ergenzinger und Pauline M’barek – als Stipen- diatinnen des Dorothea-Erxleben-Programms an der Hochschule für Bildende Künste Braun- schweig initiiert hatten.

Die gemeinsame Ausstellung des Malereiseminars von Helene Appel, des Klangkunstseminars von Kerstin Ergenzinger und des Performanceseminars von Pauline M’barek fand draußen statt – weitgehend ohne Wände und Überdachung, sodass vorab wenig klare Präsentations- und Abgrenzungsmöglich- keiten gegeben waren: weder zwischen den KünstlerInnen noch gegenüber der nur minimal kontrollierbaren Fülle der umgebenden Wahrnehmungseindrücke und -reize des Außenraums. Gleichzeitig bereicherten die vielfältigen Einflüsse unsere Begegnungen und unser Denken und Handeln und bildeten den Katalysator für viele spannende Experimente. Dieser Freiraum wurde uns in Form des weit- läufigen Geländes der H_lle für elf Tage zur Verfügung gestellt, mit viel Unterstützung von Henrike Wenzel und dem Kunstverein H_alle. Er wurde zum geteilten Ort für die unter- schiedlichen Arbeitsansätze jeder und jedes Einzelnen. Gemeinsames Vorhaben war es, die einzelnen Arbeiten und individuellen Konzepte dort durch den Bezug zum Ort und eine genaue Wahrnehmung des jeweils Benachbarten miteinander in Beziehung treten und sich gegenseitig ergänzen zu lassen.

Das ist weder selbstverständlich noch einfach, fast alle Beteiligten erprobten Arbeitsweisen, die für sie neu waren. Ausgangspunkt dafür wurde die Wahrnehmung der Beziehungsgefüge zwischen den Teilnehmenden sowie zu dem sehr diversen Arbeits- und Gartengelände der H_llen-Gemeinschaft. Mit gegenseitigem Respekt und Neugier wurden die Bedürfnisse und die Eigenständigkeit der einzelnen Teil- nehmerInnen entdeckt und besprochen.

„Open Skies“, so unbeschwert und frei es klingt, ist ein technischer Begriff aus der inter- nationalen Luftfahrt. Wir haben ihn gewählt, da der Luftraum – wie auch die Ozeane – zum Großteil noch nicht im Besitz von National- staaten ist und so als offen verfügbarer Raum immer wieder Gegenstand von Konflikten und Teil komplizierter Verhandlungen wird. Open- Skies-Abkommen versuchen im konstruktiven Fall, Schutz durch gegenseitige Beobachtung und eine gemeinsame Nutzung zu ermög- lichen. All das ist fragil, ist die Verwendung von Technologien doch nie neutral.

Unterwegs

Im Sommersemester 2020, in dem die Studierenden oftmals in Isolation voneinander arbeiteten, beschäftigte sich das Malerei- seminar mit Ausstellungsentwürfen – mit dem Bezug von Malerei, ihren Proportionen, ihrer Ästhetik und ihren Arbeitsweisen, zu ihrem physisch-architektonischen Umraum – sowie der Begegnung mit anderen KünstlerInnen und anderen Disziplinen im Ausstellungs- kontext. Hier begann die Zusammenarbeit mit dem Klangkunstseminar, dessen Zielsetzung ebenfalls einen bewussten Bezug zur Umwelt und zur Vielfalt unseres Wahrnehmungs- spektrums sowie der akustischen und im weiteren Sinne polysensorischen Erfahrungen beinhaltete.

In Kooperation mit dem Ausstellungsraum Hestia und der Kuratorin Teodora Jeremić in Belgrad entstanden Konzepte für kollaborative Zusammenstellungen individueller Arbeiten, die, konkret auf diesen Ort bezogen, anhand eines Raummodells gemeinsam entwickelt und entworfen wurden. Parallel dazu befasste sich Pauline M’barek in ihrem Seminar damit,

wie subtile Formen performativer, materieller und räumlicher Auseinandersetzung zwischen Körpern und Umwelten in ihren vielgestaltigen Austauschprozessen experimentell erprobt und praktisch erforscht werden können. Da es Schnittmengen zwischen den TeilnehmerInnen unserer Seminare gab und einige der Studierenden von Pauline M’barek Interesse hatten, an dem gemeinsamen Ausstellungsprojekt mitzuarbeiten, beschlossen wir eine weiterführende Kooperation zu dritt mit zwei Stationen: mit viel Experimentierzeit und Ressourcen in der Montagehalle der HBK und einem ortsbezogenen Satelliten in Belgrad.

Im Wintersemester 2020 begannen wir, um die Wahrnehmung für die komplexen Bezie- hungsgefüge im Raum und untereinander zu schärfen, in für alle offenen Veranstaltungen konkret mit der Montagehalle als Raumkörper zu arbeiten. Es ging darum, seine Präsenz und seine Wirkung in gemeinsamen Wahrneh- mungsexperimenten visuell, akustisch sowie performativ zu erkunden. In weiterführenden Entwürfen wurden die Trennwände der Montagehalle durch Elemente eines Gerüsts ersetzt, wodurch das Volumen des nun freien Luftraums der Montagehalle erfahrbar wurde und flexible Unterräume für Installationen entstanden. Große, teils bemalte Stoffe  waren angedacht, um den Raum visuell und akustisch zu strukturieren.  Als dann alle Innenräume auch im Sommersemester 2021 weiterhin verschlossen blieben, bekamen wir die herausfordernde Chance, trotz allem auf dem H_llen-Gelände den Außenraum mit neuen Experimenten künstlerisch zu erproben. Dazu entstanden insgesamt vier seminarübergreifende Veranstaltungen, zu denen verschiedene KünstlerInnen und Theoretikerinnen (Jessica Warboys, Morten Norbye Halvorsen, Franziska Windisch und Lotte Arndt) eingeladen wurden, die in intensiven Austausch mit den Studierenden traten.

11 Tage im Juni

Während der intensiven Arbeitstage entstan- den die meisten Arbeiten vor und mit dem Ort. Statt eines White Cube bespielten die beteilig- ten Studierenden nun ein Gelände mit Bäumen, Büschen, wucherndem Unkraut, aber auch mit alten Metallteilen, Baugerüsten, Holzschuppen und Containern. Sich selbst und die Dinge un- beständigen meteorologischen Bedingungen auszusetzen sowie einem wandelnden Licht- verlauf und unkontrollierbaren Klangereig- nissen, sich an ungewöhnliche Orientierungs- punkte, natürliche Hindernisse und ungefilterte Reize anzupassen, all das bildete für viele einen völlig ungewohnten Erfahrungs- und Experi- mentierraum. Arbeiten mussten Wind, Regen und dem grellen Sonnenlicht standhalten. Sie mussten witterungs- und hitzebeständig sein. Oder anders, sie mussten diese Gegebenheiten miteinbeziehen und integrieren.

Am Ende öffnete sich den BesucherInnen eine Vielfalt von ortsbezogenen künstlerischen Interventionen. Skulpturen integrierten sich in vorgefundenes Industriemobiliar. Ebenso fügten sich Videoprojektionen in das Gelände ein, die ihrerseits Dokumentationen per- formativer Aktionen im Außenraum waren. Man konnte Ansichten der Umgebung bildhaft wahrnehmen, eine geometrische Skulptur wurde so zur begehbaren, aufgefächerten Rahmung. Malereien waren abgespannt und wieder aufgespannt worden. Sie bewegten sich im Wind, einer Fahne gleich, oder waren als lose aufgehängte Tücher wie Wäsche auf der Leine befestigt. Bildträger wurden solide und robust oder leicht und durchlässig. Einige waren halb in der Erde vergraben. Andere gaben durch Transparenzen ihren Hintergrund frei. Direkt an Gegenständen der Umgebung angebracht, verzahnten sich einige Bilder collageartig mit dem Außenraum. Der Erdbo- den um eine staubig glänzende Pfütze knarzte beim Annähern unheimlich. Janusköpfig angeordnete Lautsprecher redeten direkt mit BesucherInnen am Stehtisch. Containerwände wurden zu Lautsprechermembranen, von ihnen umschlossene Lufträume zum Resonanzraum für den Ton einer raumbezogenen Videoprojektion oder für eine Komposition aus Audioaufnahmen von unterhalb einer Autobahnbrücke. Die akustische Atmosphäre im Inneren der Container mischte sich mit den einsickernden Geräuschen und Klängen des umgebenden Industriegebiets.

Jenseits der anfänglichen Suche nach alter- nativen Präsentationsformen war nun das Gelände selbst zum wesentlichen Bestandteil der Arbeit und des Arbeitens geworden. Es war aus dem, was geschehen und entstanden war, nicht mehr wegzudenken